Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen im Lernen und Verhalten und mit seelischer Behinderung oder in der Gefahr einer solchen Behinderung ist hoch. Aus dem Zwölften Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (BFSFJ, 2005) geht hervor, dass immer mehr Kinder und Jugendliche von Verhaltensproblemen, emotionalen Problemen und Hyperaktivitätsproblemen betroffen sind. So zeigen 11,9 Prozent der Mädchen und 17,6 Prozent der Jungen Probleme im Verhalten und 9,7 Prozent der Mädchen beziehungsweise 8,6 Prozent der Jungen emotionale Probleme. Bei den Hyperaktivitätsproblemen liegen die Werte bei den Mädchen mit 4,8 Prozent und bei den Jungen mit 10,8 Prozent mehr als doppelt so hoch (KiGGS-Studie, 2007). Die Gründe hierfür sind zum einen in der sozialen Situation der Kinder und Jugendlichen und zum anderen in den fehlenden Ressourcen und Möglichkeiten der Familien zu finden. Die Diagnosen korrelieren mit einem niedrigen Sozialstatus. Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus zeigen häufiger Sprachauffälligkeiten, psychomotorische Defizite, psychiatrische Erkrankungen sowie emotionale und soziale Störungen. Die Werte für psychische Probleme betragen bei Befragten mit hohem sozioökonomischen Status etwa 8,1 Prozent. Demgegenüber liegen die Werte bei mittlerem und niedrigem Sozialstatus bei 13,4 und 23,2 Prozent (KiGGS-Studie, 2007).
Die Langzeitfolgen psychischer Probleme sind besonders für Kinder schwer wiegend, da diese sich in einer sensiblen Entwicklungsphase befinden. Für den Bildungserfolg gelten Wohlbefinden und Zufriedenheit als ausschlaggebende Faktoren. Besonders Kindern aus sozial benachteiligten Familien bleiben damit Bildungs- und Lebenschancen versagt (BDP, 2007).
Kinder werden laut Konzeption in der Einrichtung „Kleeblatt“ von der ersten bis zur sechsten Klasse beschult. Sie können aber teilweise auch bis zu 15 Jahre alt sein und sind dann meist aus pädagogischen Gründen versetzt (siehe Abbildung 1; Abbildungen zur Good Practice-Beschreibung).
Die Kinder zeigen hauptsächlich Störungen im Sozialverhalten, hier vor allem oppositionelles, aufsässiges bis aggressives Verhalten, weiterhin Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS) und emotionale Störungen. Sie weisen ebenfalls eine geringe psychische Belastbarkeit, Affektlabilität, Steuerungsschwäche, Leistungsversagen oder -verweigerung und Schulangst auf, wobei die Ausprägungen auf einer Skala von akut bis chronisch beschrieben werden können.
Die Kinder sind aufgrund ihrer Lebensverhältnisse und Beziehungen den Alltagsanforderungen häufig nicht gewachsen. Oftmals werden wesentliche Bedürfnisse zum Beispiel nach emotionaler Bindung, Sicherheit, Kreativität, Partizipation, Identität unzureichend befriedigt. Teilweise fehlen den Kindern grundlegende Alltagskompetenzen wie regelmäßiges Waschen und Essen. Damit fehlen auch die Grundlagen für ein normales Lernen.
Das Projekt ist aufgrund des Anliegens einer Arbeitsgruppe aus verschiedenen Fachbereichen im Jugendamt entstanden. Ziel war es, für seelisch behinderte Kinder im Grund- und Regelschulalter, die momentan im öffentlichen Schulsystem scheitern, eine auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtete Einrichtung zu schaffen.
Im Erfurter „Kleeblatt“ werden die Kinder nach § 27 ff. des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) sozialpädagogisch gefördert und nach der Thüringer Schulordnung unterrichtet. Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gilt bei Kindern und Jugendlichen, deren seelische Gesundheit länger als sechs Monate von dem als für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, als eingeschränkt. Der Rechtsanspruch, der Kindern und Jugendlichen nach § 35a SGB VIII auf Eingliederungshilfe bei gesundheitlicher Beeinträchtigung zusteht, wird durch die Einrichtung realisiert. Kinder, denen es zeitweise nicht möglich ist, in einer Grund-, Regel- oder Förderschule zu lernen, werden im „Kleeblatt“ individuell beschult. Darüber hinaus erfolgt eine sonderpädagogische Förderung. Die Betreuung geht dabei weit über die Beschulung und sonderpädagogische Förderung hinaus.
Die Einrichtung „Kleeblatt“ entstand aus der Zusammenarbeit von vier Institutionen und erhielt daraus seinen Namen. Beteiligt sind das Staatliche Schulamt der Stadt Erfurt, das Jugendamt der Stadt Erfurt, das Amt für Bildung der Stadt Erfurt und die Arbeiterwohlfahrt AJS gGmbH. Die Räumlichkeiten des „Kleeblatt“ befinden sich in einem alten Schulgebäude in Erfurt und liegen etwas vom Stadtzentrum entfernt in einer ruhigeren Wohngegend.
Das Jugendamt übernimmt die finanzielle Versorgung über eine bewilligte Hilfe zur Erziehung im Rahmen eines Hilfeplanverfahrens für den Einzelfall, das Amt für Bildung stellt die räumliche Ausstattung zur Verfügung und beteiligt sich zudem an den Sachkosten. Das Staatliche Schulamt setzt das schulische Personal ein. Der Arbeiterwohlfahrt (AWO AJS gGmbH) als freiem Träger der Einrichtung obliegt sowohl die organisatorische, betriebswirtschaftliche und personelle wie auch die konzeptionelle, qualitative und inhaltliche Ausgestaltung der Einrichtung. Die AWO greift dabei auf hochqualifiziertes und multiprofessionelles Personal zurück: Grund-, Regelschul- und Förderschullehrerinnen, eine Musiktherapeutin, Erzieherinnen und Erzieher, sonderpädagogische Fachkräfte, eine Heilpädagogin/Spieltherapeutin, eine Motologin sowie Ergo-/Reitherapeuten und -therapeutinnen arbeiten als Team zusammen.