In Deutschland leben ca. 500 000 Kinder mit einem als psychisch krank diagnostizierten Elternteil (ca. jedes 30. Kind). Die Anzahl der Kinder, die in vergleichbaren Situationen – jedoch ohne diagnostizierte Erkrankung ihrer Eltern – leben, dürfte um ein Vielfaches höher sein. Die betroffenen Kinder haben gegenüber der Vergleichsgruppe ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, selbst einmal von psychischen Störungen oder Erkrankungen betroffen zu sein.
Das Auftreten einer psychischen Erkrankung führt oftmals dazu, dass Partner, Freunde und Verwandte sich vom Erkrankten abwenden. Der Umgang mit dem oder der Erkrankten wird von seinem bzw. ihrem Umfeld als schwierig und belastend erlebt und der bzw. die Erkrankte gerät so in die Isolation. Die Kinder psychisch Erkrankter jedoch bleiben bei ihren Eltern und stellen oftmals die einzige Bezugsperson des erkrankten Elternteils dar. So werden die Kinder in jungen Jahren zum engen Vertrauten ihres erkrankten Elternteils, zur tragenden Stütze im „System Familie“ und teilweise zu einem festen Bestandteil im „Wahnsystem“ ihrer Eltern. Sie werden mit Problemen, Sorgen und Nöten der Eltern belastet, was zu Überforderung führt. Viele Kinder suchen nach Erklärungen und Lösungen für das „Unerklärliche“, das sie erleben und geben sich dann selbst die Schuld an der Krankheit der Eltern. Solche Kinder leisten viel und werden in mancher Hinsicht erwachsen, bevor sie Kind sein konnten. Insbesondere die Töchter erkrankter Frauen übernehmen in diesen Familien oftmals früh Aufgaben ihrer Mutter (in Bezug auf Haushalt, kleine Geschwister etc.). Die Kinder werden in einem ungewöhnlichen Umgang mit der Realität, in einem meist nicht kindgerechten Umgang mit Zeit, Ernährung und Ordnung erzogen. Anstelle von verlässlichen, starken Erwachsenen, die ihnen die Orientierung, den Halt und die Sicherheit innerhalb einem freundlich, zugewandten Erziehungsklima geben, die sie für ihre Entwicklung benötigen, erleben sie instabile, bisweilen sogar unberechenbare kranke Erwachsene. Die Kinder leben in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Wut, Mitleid, Angst, Liebe, Verunsicherung, Selbstständigkeit, Abhängigkeit, Verantwortung, Orientierungslosigkeit, Zweifel, Selbstzweifel, Schuldgefühlen oder Ausgeliefertsein.
Als besondere Belastung liegt vielfach die Angst der Eltern und Kinder über der Familie, dass die Familie insgesamt zerbricht, weil die Kinder durch Eingreifen der öffentlichen Jugendhilfe aus der Familie genommen werden könnten, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls festgestellt würde.
Trotz der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, in der diese Kinder aufwachsen, „funktioniert“ ein Großteil der Betroffenen nach außen hin im Kindesalter recht gut. Die bei 80 % der Kinder psychisch kranker Eltern auftretenden Auffälligkeiten (zum Beispiel: Nägelkauen, aggressives Verhalten, Einnässen, Schlafstörungen, Schulschwierigkeiten, Unruhe und Konzentrationsprobleme) lassen sich relativ gut verstecken bzw. treten bei vielen Kindern nur zeitweilig auf. Insbesondere Mädchen erkrankter Mütter fallen häufig erst in der Pubertät oder als junge Erwachsene auf – genau in der Zeit, wenn sie schrittweise erwachsen und selbstständig werden sollten. In diesem Alter manifestieren sich jedoch oft die psychischen Folgeerscheinungen der vielfach über Jahre ausgehaltenen emotionalen Belastungen. Bei Jungen wird die besondere Belastung oftmals wesentlich früher erkannt, da sie tendenziell zu „störend-auffälligem Verhalten“ neigen, durch das sie in Kindergarten und Schule auffallen.
Die verzerrte Selbsteinschätzung der Familiensituation in Kombination mit der Angst, das Sorgerecht für die Kinder zu verlieren, führt dazu, dass diese Kinder und Familien ihre Probleme bagatellisieren und so nicht durch Maßnahmen der Jugendhilfe erreicht werden. Die „Kinder-Brücke“ will hier ansetzen, um psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen durch präventive Intervention zu verhindern und ihr Belastungspotenzial zu senken.