In dem Zeitraum 2002 bis 2003 hatte das Amt für Familie und Soziales der Stadt Kiel ein erstes Projekt „Straßensozialarbeit in Gaarden“ initiiert, das zwar erste Wirkungen hinsichtlich des Konsumverhaltens bei den alkohol- und drogenabhängigen Menschen vom Vinetaplatz gezeigt aber keine nachhaltigen Veränderungen im Stadtteil geschaffen hat. Viele gute Ideen, die dort im Dialog mit den sozial benachteiligten Männern und Frauen entstanden waren, fanden bei der Konzeption des nachfolgenden, hier beschriebenen Projektes „Aufsuchende Sozialarbeit rund um den Vinetaplatz“ Berücksichtigung.
Vor diesem Hintergrund hat das Amt für Familie und Soziales unter Beteiligung der Platznutzerinnen und Platznutzer ein neues Konzept entwickelt, welches in enger Kooperation mit dem Jobcenter durchgeführt wird und von diesem finanziell gefördert wird. Es umfasst folgende Bausteine: Aufsuchende Sozialarbeit, Sozialtraining für Erwachsene und die Anlaufstelle Flexwerk. Zielsetzung des Projektes ist die Erhöhung der Lebensqualität und Verbesserung der gesundheitlichen Situation der sozial benachteiligten Menschen sowie eine Beruhigung und Aufwertung des Platzes, von der alle Beteiligten im Stadtteil (Anwohner, Geschäftsleute usw.) profitieren. Die Stadt Kiel trägt die Personal- und Mietkosten, das Jobcenter finanziert die Qualifizierungsmaßnahmen und die Entlohnung der Mehraufwandsentschädigungen bei den durch das Projekt entstandenen Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro–Jobs“) für die teilnehmenden Empfänger und Empfängerinnen von ALG II.
Im Mai 2005 wurde unter der Leitung des Sozialzentrums Gaarden, das das Jobcenter und den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) unter einem Dach vereint, der „Arbeitskreis Vinetaplatz“ implementiert. Alle in diesem Zusammenhang relevanten Akteure des Stadtteils wurden an einen Tisch geholt, um sich über konkrete Maßnahmen abzustimmen und diese zu organisieren. Da es sich bei der Zielgruppe um ALG II-Empfängerinnen und -Empfänger handelt, die neben der Unterstützung durch entsprechende Hilfsangebote im Rahmen von Arbeits- und Qualifizierungsmaßnahmen berufliche Schlüsselqualifikationen „wiedererlernen“ und aktiv an der eigenen Vermittlungsfähigkeit mitwirken sollen, spielt das Jobcenter Gaarden bei der Projektplanung und -umsetzung eine wichtige Rolle. Übergeordnetes Ziel des Projektes ist die Erhöhung der Lebensqualität für die sozial benachteiligten Menschen, die den Vinetaplatz als täglichen Treffpunkt nutzen. Mittelfristiges Ziel ist es, diese Menschen sowohl konkret zu unterstützen und zu beraten als auch durch Arbeitsprojekte zu aktivieren, damit vorhandene oder wiederentdeckte Ressourcen genutzt werden können.
Bei der Projektentwicklung verständigten sich die beteiligten Akteure unter Beteiligung der Zielgruppe auf ein Bündel von Maßnahmen (Aufsuchende Sozialarbeit, Sozialtraining, Schaffung der Anlaufstelle „Flexwerk“). Zu Beginn der praktischen Umsetzung des Projektes luden die Aufsuchende Sozialarbeit, das Jobcenter Gaarden und der Kinder- und Jugendhilfeverbund zu einer Infoveranstaltung über die geplanten Aktivitäten in Gaarden ein, an der 20 alkohol- und drogenabhängige Menschen vom Vinetaplatz teilnahmen.
Aufsuchende Sozialarbeit:
Die Kontaktaufnahme mit den alkohol- und drogenabhängigen Menschen rund um den Vinetaplatz findet vor Ort auf den Plätzen im Stadtteil statt. Zu Projektbeginn wurden Handzettel mit Informationen über das Projekt und die sozialpädagogischen Fachkräfte verteilt. Die Aufgabe der Aufsuchenden Sozialarbeit liegt vor allem darin, in Gesprächen die Gründe des Konsumverhaltens der Betroffenen auf den öffentlichen Plätzen zu erfragen und zusammen mit den Beteiligten Unterstützungs- und Aktivierungsmöglichkeiten zu entwickeln, die eine Veränderung ihrer Lebenssituation herbeiführen können. Eine Sozialarbeiterin und ein Sozialarbeiter sind wochentags zwischen 11 Uhr und 18 Uhr auf den genannten Plätzen – schwerpunktmäßig auf dem Vinetaplatz – präsent und stehen als Ansprechpartner zur Verfügung. Sie bieten Beratung und praktische Unterstützung zum Beispiel bei Schuldenregulierung, im Umgang mit Ämtern und Behörden, Ärzten und Suchtberatungen, bei der Wohnungssuche oder Abwendung von Strafvollzug an.
Mithilfe der Methode des „Motivational Interviewing“ wird auf niedrigschwellige Weise versucht, den Kontakt zu den suchtmittelabhängigen Menschen herzustellen, sie zu stabilisieren und sie zur Inanspruchnahme suchtspezifischer Hilfen zu motivieren. Wesentlich ist dabei, dass sie durch die Reflexion des eigenen Konsumverhaltens die mit Veränderungsprozessen einhergehende Ambivalenz verstehen, die Argumente für eine Veränderung selbst entwickeln und zu einer Entscheidung kommen, anstatt von Außenstehenden zu einer Verhaltensänderung überredet zu werden. Der Arbeit liegt ein akzeptierender Ansatz zugrunde, der nicht vorrangig Abstinenz zum Ziel hat. Vielmehr geht es darum, die Menschen, die bereits durch fast alle Maschen des gesellschaftlichen Netzes gefallen sind, überhaupt zu erreichen und – wie in den meisten Fällen geschehen – sie zu einem kontrollierten, selbstbestimmten Konsumverhalten zu motivieren.
Überdies kommt den vor Ort tätigen Sozialarbeitern die wichtige Aufgabe zu, beide Seiten, also die Interessen der alkohol- und drogenabhängigen Menschen und die der Anwohnenden und Geschäftsleute, zu moderieren. Wesentlich ist hierbei, ein grundsätzliches Verständnis sowie Akzeptanz für die Situation der jeweils anderen Seite zu bewirken.
Sozialtraining mit Erwachsenen:
Jahrelange Arbeitslosigkeit bringt häufig psychischen und körperlichen „Muskelschwund“ mit sich. Ehemals erlernte Fähigkeiten und Fertigkeiten, Sozialkompetenzen und anderes werden nicht mehr benötigt und verlernt. Im Sozialtraining mit Erwachsenen sollen diese verschütteten Kompetenzen und Ressourcen wieder entdeckt und über die Angebote zur Beschäftigung wieder erlernt werden. Die damit einhergehende Tagesstrukturierung in Verbindung mit einer stabilisierenden Gruppenstruktur spielt hierbei eine wichtige Rolle. Arbeits- und Leistungsziele werden täglich gemeinsam festgelegt und es wird mit jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer ein Förderplan entwickelt. Die Dauer der Arbeitszeit richtet sich nach den Möglichkeiten der Einzelnen und wurde gemeinsam mit dem Jobcenter vereinbart. Die Betroffenen werden vorwiegend in Arbeits- und Beschäftigungsprojekten im Stadtteil für den Stadtteil eingesetzt. Darüber hinaus werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch in die Vorbereitung und Durchführung von Großveranstaltungen der Stadt wie beispielsweise des Kids Festivals, der Kiel-Sailing-City, der Spiellinie und des Bürgerfests zum „Tag der deutschen Einheit“ eingebunden.
Ursprünglich war geplant, in einer zweiten Umsetzungsphase die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Zielgruppe durch Vorbereitung auf Betriebspraktika, Qualifizierungsmaßnahmen oder Minijobs zu fördern. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Angestellten Akademie wurde ein Angebot geschaffen, bei dem Abstinenz vor und während der Arbeitszeit Voraussetzung für die Teilnahme war. Diese Hürde war jedoch zu hoch, nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass dies bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht zu schaffen war und dieser Baustein deshalb nicht umgesetzt werden konnte.
Anlaufstelle „Flexwerk“:
Bereits in der Projektplanungsphase wurde als größter Bedarf von Seiten der Betroffenen eine Anlaufstelle im Stadtteil genannt. Zu diesem Zweck hat die Stadt Kiel Geschäftsräume am Vinetaplatz angemietet, die dann im Weiteren von der Zielgruppe in Eigenarbeit saniert, renoviert und eingerichtet worden sind. Im Flexwerk können wie bei einer Tagelöhneragentur Arbeitsangebote durch Firmen, Verbände, Vereine und Bürger des Stadtteils ausgehängt werden. Vor Ort gibt es Serviceangebote wie Frühstück und Mittagstisch, die von der Zielgruppe selbst organisiert und zubereitet werden. Außerdem werden eigene Arbeitsprojekte in Zusammenarbeit mit den Betroffenen und dem Jobcenter entwickelt und als Arbeits- und Qualifizierungsmöglichkeiten durchgeführt wie zum Beispiel das Projekt „Ein Garten für Generationen“. Hier ist die Aufgabe, ein brachliegendes städtisches Grundstück wieder nutz- und erlebbar zu machen. Die Anlaufstelle „Flexwerk“ organisieren die Betroffenen weit gehend selbst. Sie ist als Projekt des Stadtteils auch in den dortigen Gremien vertreten.
Überdies besteht für alle Bürgerinnen und Bürger Gaardens die Möglichkeit, in den Räumlichkeiten des Flexwerks Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen, beispielsweise in den Bereichen Sucht, Schulden, psychosoziale Betreuung und Gesundheit. Es findet regelmäßig ein Frauenfrühstück statt. Bei den Teilnehmerinnen handelt es sich vorwiegend um Frauen, die aufgrund jahrelangen Drogenmissbrauchs besonderer Unterstützung bedürfen. Für Kinder Alkohol und Drogen konsumierender Eltern gibt es im Flexwerk ein Gruppenangebot mit regelmäßigen gemeinsamen Aktivitäten und Spielen.
Nach Ablauf der ersten Projektphase im Herbst 2007 hat die Landeshauptstadt Kiel den Kinder- und Jugendhilfeverbund Kiel (Kjhv) mit der Weiterführung und Weiterentwicklung des Projektes für zunächst drei Jahre beauftragt.