Menschen mit Migrationshintergrund gelten nach wie vor als schwer erreichbare Zielgruppe für viele Angebote der Gesundheitsversorgung. Besonders deutlich wird dies bei Angeboten im Bereich der Prävention, die von Migrantinnen und Migranten wesentlich seltener in Anspruch genommen werden (RKI, 2008). Anhand der medizinischen Versorgung von HIV-Infizierten lassen sich am deutlichsten Probleme bei Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika aufzeigen, berichtet das Robert Koch-Institut. Erschwerte Lebens- und Arbeitsbedingungen, kommunikative, kulturelle und aufenthaltsrechtliche Gründe sowie kulturell bedingte Unterschiede in den Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit oder unterschiedliche Inanspruchnahme medizinischer Leistungen erweisen sich hier als Barrieren (RKI, 2010). Dies führt dazu, dass Afrikanerinnen und Afrikaner seltener an einer HIV-Diagnostik teilnehmen.
In den letzten Jahren wurde in der Europäischen Union ein Anstieg der auf heterosexuellem Wege übertragenen HIV-Neuinfektionen bei Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika beobachtet. Daneben stieg auch die Anzahl der diagnostizierten AIDS-Fälle in dieser Gruppe an (European Centre for Disease Prevention and Control, 2009). In Deutschland liegt Schätzungen zufolge die HIV-Prävalenz bei Menschen aus Subsahara-Staaten bei etwa 3 Prozent; sie ist damit innerhalb der Bevölkerung nicht-deutscher Herkunft am höchsten. Bei den seit 2004 erfassten AIDS-Diagnosen lassen sich zudem deutliche Geschlechtsunterschiede aufzeigen. Nur 6 Prozent aller männlichen an AIDS erkrankten Personen kommen aus Hochendemiegebieten, im Vergleich dazu aber 42 Prozent aller an AIDS erkrankten Frauen (RKI, 2007b). Für die Arbeit im Rahmen des Afrika-Projektes bedeutet dies, dass im Multiplikatorenpool das Geschlechterverhältnis ausgewogen sein muss. Der Begleitung von HIV-positiven (schwangeren) Frauen ist besondere Bedeutung beizumessen. Bei der Fortführung des Projektes (falls finanzielle Mittel zur Verfügung stehen sollten) ist zusätzlich eine weibliche Mitarbeiterin für die frauenspezifischen Aspekte einzustellen.
In Bremen (Stadt) stammen 13 Prozent der Bevölkerung aus dem Ausland und ca. 26,6 Prozent haben einen Migrationshintergrund. Von den 71.342 in Bremen lebenden Ausländern kommen ca. 4.416 Personen aus Afrika. Wie den Statistiken des Landesamts Bremen zu entnehmen ist, handelt es sich bei der größten ethnischen Gruppe aus Afrika um Menschen aus Ghana. Aus Nigeria stammt die zweitgrößte afrikanische Volksgruppe (Statistisches Landesamt Bremen, 2007).
Seit 1995 engagiert sich die AIDS/STD-Beratung am Gesundheitsamt Bremen (STD: sexually transmitted diseases, sexuell übertragbare Krankheiten) in ihrem Arbeitsschwerpunkt „Migration“ in der Prävention und Begleitung von Flüchtlingen. Insbesondere der späte Zugang zum Versorgungssystem und eine ausgeprägte Tabuisierung von HIV und AIDS in den afrikanischen Communitys, die Betroffene stigmatisieren und ausgrenzen, zeigten einen besonderen Handlungsbedarf. Europäische Studien zu Betroffenheit und Versorgungsqualität bei Afrikanerinnen und Afrikanern im Bereich HIV/AIDS bestätigen diese Erfahrungen.
Laut Robert-Koch-Institut (2006) lebten Ende 2006 ca. 850 Personen mit einer HIV-Infektion im Land Bremen, darunter ca. 650 Männer und 200 Frauen (Gesundheitsamt Bremen, 2008). Migrantinnen und Migranten stellen ungefähr ein Drittel der vom Gesundheitsamt Bremen betreuten HIV-infizierten Klientel. Sie stammen überwiegend aus Ländern mit hoher HIV-Prävalenz. 2007 wurden in Bremen 31 neue HIV-Fälle bekannt, darunter 3 aus Afrika (RKI, 2011).
Die bis Mitte der 90er-Jahre übliche Präventionsstrategie, nach der erwartet wurde, dass Interessierte zum Gesundheitsamt Bremen kommen, hatte in der afrikanischen Community nur geringen Erfolg. Hier zeigte sich besonders, dass für viele der migrierten Afrikanerinnen und Afrikaner Prävention und die Sorge um die eigene Gesundheit in ihrer derzeitigen Lebenssituation keine Priorität haben. Ihr Gesundheits- und Krankheitsverständnis und Hilfesuchverhalten orientiert sich oft an deutlich sichtbaren Symptomen und spürbaren gesundheitlichen Einschränkungen. Zudem ist in Bremen zu beobachten, dass bei der Zielgruppe eine geringere Bereitschaft zur HIV-Antikörpertestung besteht, obwohl diese kostenlos und anonym angeboten wird.
Die Geheimhaltung einer Infektion im Freundeskreis, in der Familie und der Community führt nicht selten zur Isolation der Betroffenen (Gesundheitsamt Bremen, 2008). Eine anhaltende Tabuisierung und Stigmatisierung von HIV/AIDS innerhalb der Gemeinschaft und das (empfundene) Erleben von Diskriminierung durch das Personal im Gesundheitswesen als auch in der afrikanischen Community erschweren eine offene Auseinandersetzung mit diesem äußerst sensiblen Thema. Äußerungen von Mitgliedern der Community wie z.B. „AIDS ist eine Erfindung der Weißen, um Afrika vom Wohlstand fernzuhalten“ oder „Wenn Deutsche an Afrikaner denken, denken sie nur an AIDS“ (Gesundheitsamt Bremen, 2006) verdeutlichen die tiefgreifende Verunsicherung und unterstreichen, wie wichtig für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu Mitgliedern dieser Zielgruppe die Einbindung von Fachkräften aus dem afrikanischen Kulturkontext ist. Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, dass die Betroffenen besonders unter den finanziellen Folgen ihrer Erkrankung leiden und verstärkt von Armut, Arbeitslosigkeit und schlechten Wohnverhältnissen betroffen sind (Krischke, Gräser, 2009). Diese Aspekte leiteten 2004 einen Strategiewechsel in der AIDS/STD Beratung am Gesundheitsamt Bremen ein:
- Entwicklung des Konzepts unter Einbindung mindestens einer Person afrikanischer Herkunft
- Durchführung des Projekts durch afrikanische Fachkräfte
- Angebot von Informationsveranstaltungen in verschiedenen Welt- und Landessprachen
- Aufsuchende Arbeitsweise: Veranstaltungen und Beratungen in Einrichtungen und Treffpunkten der afrikanischen Milieus
Als gemeindeorientiertes Präventionsprojekt, an dem Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus den Subsahara-Staaten beteiligt sind, fördern die Deutsche AIDS-Stiftung und der Europäische Flüchtlingsfonds die Initiative seit Mai 2007.